Grenzstation Radlpaß / Radlje ob Dravi
29.6.2006, 15 Uhr
österreichisch – slowenische Grenze
Begrüßung:
Joachim Baur, WERKSTADT GRAZ
Christa STEINLE, Neue Galerie Landesmuseum Joanneum
Milena ZLATAR, Koroska galerija likovnih umetnosti Slovenj Gradec
Beiträge:
Joachim Baur, WERKSTADT GRAZ
Peter WEIBEL, ZKM Karlsruhe
Festvortrag:
Bazon BROCK, Univ.Prof. für Ästhetik / Kulturvermittlung Universität Wuppertal
KünstlerInnen:
Präsentation der Arbeiten im ehemaligen Grenzgebäude:
Manfred Erjautz, Max Aufischer, Muhammad Müller, “Europäisches Kompentenzzentrum für Krisen- und Katastrophenmanagment”
Gerald Till und Klaus Vanic, “ECHO und ECHOSCHUTZ” Joachim Baur, Josef Klammer, Winfried Gindl, “Evakuierung” Inge Vavra, ”Fatale Entwicklung” Anselm Glück, Peter Hauenschild, Georg Ritter, Pino Poggi, Daniel Buren, Deutschbauer-Spring, u.v.m.
Publikumsfähnchen “Wir fordern Sie auf alles in Ihrer Macht stehende zu unterlassen”,
WERKSTADT GRAZ, Joachim Baur & Bazon Brock
Präsentation und Verkostung:
BAVODO-CUCHA-SITO (afrikanische Getränke) FAIRE TRADE – EINE WELT AG
Essen: Afrikanisches Menü / MOBILBOX – RESTAURANT TERANGA, Bambo Sane & Andrea Kühbacher
Musikprogramm:
Josef Klammer “Pieces for Synthetic Voices”
Keba Cissokho (Prinz of Kora/Senegal), “Guantanamera”
In Zusammenarbeit mit:
Rot Kreuz Team aus Slowenien & Österreich
Polizei aus Slowenien & Österreich
Hunderettungstruppe
Feuerwehr aus Slowenien & Österreich
Shuttlebus Graz-Radlpaß-Graz
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FESTIVAL DER ZIVILISATIONSHEROEN
FESTIVAL HEROJEV CIVILIZACIJE
“FESTIVAL DES NICHT-EREGNISSES AM RADLPASS – Der Vorschlag, den Radlpaß als Ereignisort der Zivilisationsbewegung auszurufen, knüpft an eine alte hellenistische Tradition. Wir befinden uns gleichsam auf dem Berg Haimon. Wir tun, was einst die Verpflichtung eines intelligenten Vorgesetzten war, nämlich eine Übersicht zu gewinnen.
Übersicht heißt auf Lateinisch supervisio, was bedeutet, sich einmal um die eigene Achse zu drehen und die Einheit der Welt im Zusammenschluss von Anfang und Ende der Besichtigungsdrehung wieder herzustellen. Eine solche Verpflichtung erfüllten die hellenistischen Nachfolger Alexanders, wenn sie in alljährlichen Ritualen den Berg Haimon bestiegen.
Diese Einheit der Wahrheitsorientierung wurde seit langem als gestört wahrgenommen. Wir glaubten, es komme nur auf Präsidenten, Staatssekretäre, auf große Individuen an, die ihre Außerordentlichkeit darin betonten, dass ihnen ohnehin niemand folgen könne; eine logische Idiotie für jeden Künstler und Wissenschaftler. Es geht längst um die entgegengesetzte Annahme: Überlegenheit in der Souveränität des Menschseins zeigen wir dann, wenn wir uns selbst als Supervisionäre betätigen und damit für die Allgemeinheit verantwortlich fühlen, deren Bestandteil wir sind. Das ist das, was wir auf Bergeskuppen oder in Furten als Stätten des Übergangs zu leisten hätten.
Wir haben bei unserem FESTIVAL DER ZIVILISATIONSHEROEN auf dem Radlpaß an der Grenze zwischen Österreich und Slowenien auf eine grundlegende Umorientierung in der Bewertung von Handelnden und Aktivisten im Bereich des gesellschaftlichen Lebens hingewiesen. Wir wollten wissen, wie weit wir von dieser Umorientierung, von der Feier der Glorie des Außerordentlichen hin zur Würdigung der Sensation des Normalen, noch entfernt sind.
Nach Meinung der höchsten wissenschaftlichen Autoritäten rangieren immer noch Personen und Personengruppen als Souveräne an erster Stelle, denen es gelingt, wie der Staatsrechtler Carl Schmitt es formulierte, über den Ausnahmefall, über die Außerordentlichkeit, über das große Ereignis zu bestimmen.
Wir wissen aber, dass inzwischen jeder mit ein bisschen Dynamit sofort in jeder Großstadt, in jedem U-Bahnschacht etwas Außerordentliches inszenieren kann. Es gilt also längst, dass nicht mehr derjenige souverän ist, der den Ausnahmezustand erzwingt.
Wir als Künstler und Wissenschaftler werden normalerweise danach eingeschätzt, inwiefern es uns gelingt, etwas Außerordentliches als Ereignishaft zustande zu bringen. Heroen der Zivilisation gelingt es, dafür zu sorgen, dass nichts Entscheidendes geschieht. Was wir retten sollten, ist die Rettung der Ereignislosigkeit in einer Zeit, wo jeden Tag rund um die Uhr jeder Fernsehsender, jede Hochschule, jedes Theater das gesamte lebendige Dasein der Menschen als ereignishaft vermarktet.
Wir rühmen daher all diejenigen, die soweit zivilisiert sind, dass sie den Wert des Unterlassens im Bereich der Wissenschaft und der Künste zugunsten einer neuen Orientierung auf die Bedeutung des menschlichen Unterlassens darstellen. Niemand weiß, was im absoluten Sinne gut, wahr oder schön ist. Wir wissen aber alle genau, was es zu unterlassen gilt an unguten, unwahren und unschönen Handlungen.
Inzwischen haben wir angesichts weltweiter permanenter Kulturkämpfe allen Anlass, uns daran zu gewöhnen, dass die höchstrangigen Leistungen einer Zivilisation in der Sicherheit des Friedens bestehen. Frieden heißt die Feier des Nicht-Ereignisses. Frieden existiert nur, wo es niemand nötig hat, sich in irgendeiner Weise hervorzutun, etwas Beliebiges in auffälliger Weise so zu behaupten, dass au der Entgegnung ein Konflikt entsteht.
Leider gibt es noch keinen Kult für die Würdigung des Unterlassens, aber genau auf diesen Weg haben wir uns mit unseren Veranstaltungen auf dem Radlpaß und im Theoriegelände begeben.”
Bazon BROCK